Eugenia Maranke

Der Letzte Beobachter

EcHt Jetzt!

Eine Meditationskomödie

 

www.tredition.de

© 2021 Eugenia Maranke

Umschlag, Illustration: Eugenia Maranke

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-347-22945-7

Hardcover: 978-3-347-22946-4

e-Book: 978-3-347-22947-1

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des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische

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Zugänglichmachung.

 

Inhalt

Kapitel 1: Was soll das Alles? 

Kapitel 2: Jetzt geht 's ab! 

Kapitel 3: Aha? 

Kapitel 4: Herrje 

Kapitel 5: Aha! 

Kapitel 6: Bingo! 

Kapitel 7: Und jetzt? 

Epilog 

 

Vorwort

„Das Pergament, ist das der heil'ge Bronnen,

Aus dem ein Trunk den Durst auf ewig stillt?

Erquickung hast du nicht gewonnen,

Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.“

(Goethe)

Liebe/r Leser/in,

ich schließe mich Herrn Goethe gerne an. Dieses Buch ist aus

meiner Seele gequollen – und es hört nicht auf zu quellen. Das

war gar nicht so einfach den Schluss-Punkt zu finden. Vieles

von dem, was in diesem Buch steht, habe ich selbst erfahren

und das Schreiben war dann auch nochmal ein fröhliches

Sprudeln. Die Windungen meines Närrinnen-Gehirns haben

getanzt.

Es war mir ein echtes Anliegen dieses Buch zu schreiben, da

ich gemerkt habe, dass ich Meditation sehr ernst nehmen

kann und mir das den inneren Frieden echt vermasselt. Ich

bin heilfroh, dass mir der Narr zur Seite steht und ich ab und

zu so einen freundschaftlichen, augenzwinkernden Stups

bekomme. In der Meditation geht es ja so im Groben um das

Jetzt-Bewusstsein und Gedanken beobachten mit der Haltung

„Alles darf sein“. Ich habe festgestellt, wenn mich die Jetzt-

Bewusstheit so begleitet, und das nicht nur auf dem

Meditationskissen, dass viele innere Anteile durcheinander

denken. Manchmal ist es offensichtlich wer denkt, vor allem

wenn es sich um den inneren Kritiker handelt, oft genug

weiß ich aber auch gar nicht, wo die Gedanken herkommen.

Mal sind die Gedanken ernst, mal sind sie zum Lachen, sie

kommen vom Hölzchen aufs‘ Stöckchen, Gedankenstille gibt

es nur selten.

Durch Meditation und Jetzt-Bewusstheit, vor allem im Alltag,

ist allerdings sehr viel mehr möglich, als denkend vor sich

hinzuschuften, schlechte Laune zu haben und sich nach Stille

zu sehnen. Es ist Gelächter möglich, Spontanität,

Verbundenheit, Lebensfreude und tiefschürfende

Erkenntnisse, sogar wenn es mal nicht so läuft. Ich habe

davon einen Geschmack bekommen und es schmeckt nach

Erdbeeren mit Sahne. Das war ein interessanter Weg bis zu

diesem Erdbeer-Wunder und es hört nicht auf.

So lade ich dich ein an diesem Weg teilzuhaben, wohl

wissend, dass jeder Weg einzigartig ist.

Da es in diesem Buch um den Bewusstseins-Raum geht, gibt

es auch weniger „zu verstehen“ als du denkst. Es geht mehr

darum in einer Weite wahrzunehmen, die sehr viel größer ist

als das Denken ... und Lese-Spaß.

Der persönliche Wasserfall der Seele ist durch nichts zu

ersetzen – dieses Gefühl von „Platsch“ oder „Ding-Dong“ ist

schon sehr besonders. Ich hatte so einige „Ding-Dongs“ beim

Schreiben, von denen ich hoffe, dass sie auch bei dir das Tor

zu einem Bimmelim sind – was sich neben blitzartiger

Erkenntnis und Berührt-Sein, ja auch in Schmunzeln oder

Gelächter äußern kann.

In diesem Sinne wünsche ich dir wundervolle Beobachtungen

mit dem letzten Beobachter.

Eugenia Maranke, den 1.1.21

 

1. Kapitel: Was soll das Alles?

Dreiundfünfzig Jahre bin ich auf diesem Planeten und

mir geht alles auf den Keks.

 

Schoko-Keks? Vanille-Kipferl? Praline?

 

Ach, halt die Klappe!

 

Ich sitze im Morgenmantel bei einer Tasse Kaffee in der

Küche, schaue aus dem Fenster und denke.

Dieses ganze Gerenne, Gedenke, Gemache, den Kopf voll mit

„To do ’s“ – das ist so anstrengend und geht echt auf den

Rücken. Abends weiß ich kaum noch, was ich tagsüber

gemacht habe. Oder besser gesagt, ich weiß, was ich gemacht

und erledigt habe, aber ich kann mich nicht erinnern, wie ich

mich dabei gefühlt habe – halt Robotermodus. Ja, und das

geht dann immer so weiter und irgendwann bin ich tot. Auf

meinem Grabstein steht dann: Sie hat immer alles erledigt

und dabei geatmet.

Na, toll! Da muss doch noch mehr sein?!

All die weisen erleuchteten Meister reden vom „wahren Ich“

und „dem Erwachen“ und „das Herz öffnen“ und „im Jetzt

sein“. Und wenn man dann an diesen inneren Ort gelangt,

dass da so viel Liebe und Frieden ist. Ich will das auch! Ich

habe keine Lust mehr, so weiterzumachen.

Es ist ja nicht so, dass ich mich darum nicht schon gekümmert

hätte. Immerhin habe ich eine Menge Therapie,

Selbsterfahrung und Theaterarbeit hinter mir und trotzdem

Ich muss seufzen und schaue dabei auf die Küchen Anrichte.

 

Da liegt die Rechnung von der Kfz-Werkstatt.

Ob erleuchtete Meister auch Rechnungen bezahlen müssen?

Das ist doch egal. Also ich denke, ich sollte die Rechnung von

der Kfz-Werkstatt in Raten bezahlen. Ob der Kfz-Mann sich

darauf einlässt? Hm, traue ich mich anzurufen und zu fragen?

Da habe ich ein blödes Gefühl. Was mache ich, wenn er „nein“

sagt? Ja, dann muss ich das Geld vom Ersparten nehmen. Das

wird dann leider immer weniger. Na ja, soviel verdiene ich

halt nicht – aber fragen kostet nichts …

 

Hallo?

 

Ja bitte?

 

Ich sitze in meiner Küche und rede mit mir selbst in meinem

Kopf.

 

Ich habe eine Frage gestellt.

 

Ob erleuchtete Meister Rechnungen bezahlen müssen?

 

Nee, die andere …

 

Kannst du sie nochmal wiederholen, ich habe sie vergessen.

Weißt du, ich weiß nicht, wie ich diese Rechnung bezahlen

soll und …

 

Ja, ich rede ständig mit mir selbst in meinem Kopf.

Unglaublich, es ist niemand hier aber ich bin nie allein.

Das ist schon ein bisschen schräg, findest du nicht?

Nein, das ist ganz normal, das machen alle. Wenn ich als

Närrin die Gedankenblasen auf die Bühne gebracht habe, hat

das Publikum oft gegackert – einfach, weil sie sich selbst

wiedererkannt haben. Nach der Aufführung kamen ja auch

einige zu mir, die mir sagten, dass es in ihrem Hirn genauso

aussieht, wie ich es gespielt oder besser gespiegelt habe.

Denken ist eigentlich ein ständiges Selbstgespräch. Ob das

„normal“ oder „gesund“ ist, will ich noch mal so dahingestellt

sein lassen.

Genau, aber eigentlich ging es doch gerade um etwas anderes.

 

Ja, ich hatte da eine Frage.

 

Wer bist du? Also der oder die da eine Frage hat? Ist ja auch

mal hübsch, anstatt „Wer bin ich?“, „Wer bist du?“

Wie viele „Ichs“ habe ich eigentlich? Manchmal glaube ich

diverse. Alle denken und haben etwas zu sagen und wollen

was. Und wer muss das alles sortieren und

zusammenbringen? Ich natürlich – mal wieder. Alles hängt an

mir. Ich habe echt keinen Bock mehr!

 

Hier hallo? Du kannst nicht den ganzen Tag denken und

Kaffee trinken. Es gibt wirklich dringenderes zu tun.

 

Alter Schwede! Der innere Antreiber, der hat mir gerade noch

gefehlt. Eine Runde Tagebuch schreiben wäre jetzt gut, um

das Alles einmal auf zu dröseln.

 

Nichts da! Es ist schon 11.00 Uhr und jetzt kannst du mal

langsam in den Quark kommen.

 

Aber es ist doch Sonntag.

 

Na und? Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht

auf morgen. Jetzt mal raus aus dem Schlafanzug, rein in die

Klamotten, eine Scheibe Brot und die E-Mail gecheckt. Für

Selbständige gibt es keinen Sonntag, wenn die E-Mail

überquillt.

 

Ich bin so froh, dass ich diese Stimmen auseinanderhalten

und hören kann. Ja, manchmal lohnt sich Therapie und

Theaterarbeit. Irgendwie komisch: In meinem Kopf wohnt ein

innerer Antreiber, ein innerer Kritiker, ein inneres Kind …

Manchmal ist es aber auch ein Gedankenknäuel. Da weiß ich

überhaupt nicht, welcher innere Anteil spricht, ja ich merke

noch nicht einmal, dass ich denke und dem inneren Kritiker

mal wieder auf den Leim gehe. Dann schufte ich durch die

Gegend und fühle mich die ganze Zeit falsch.

 

Jetzt hör' mal auf hier ’rum zu denken und komm in die Pötte.

 

Ich beobachte mich, wie ich meine Gedanken beobachte.

Ja, ist das denn zu fassen?! Der Beobachter des Beobachters

des Beobachters! Gibt ’s ja gar nicht! Das ist so was von

kompliziert.

Da habe ich schon so viele Bücher über Spiritualität gelesen,

mich mit inneren Anteilen beschäftigt, meine Kindheit

umgegraben, jetzt reicht’ s aber mal! Ich weiß immer noch

nicht, wer ich bin.

Echt, 52 Jahre: viele Seminare, Familienstellen,

Einzeltherapie, schamanische Schwitzhütten und viel

nachgedacht. In meinem Tagebuch, das ich mit 15

geschrieben habe, tauchte schon auf: Wer bin ich? Warum bin

ich hier? Wer ist Gott? Was ist nach dem Tod? Was soll das

Alles? Und dann habe ich weitere 37 Jahre Tonnen von

Tagebüchern mit Antworten gefüllt. Die sind alle in einem

Karton auf dem Dachboden. Und das Ergebnis?

Es gibt viele „Ichs“ und viele Beobachter und einen Körper,

und der trägt meinen Namen. Glücklich macht dieses Wissen

allerdings nicht.

Ich möchte aber so gerne glücklich sein, am liebsten einfach

so … ohne Grund.

Ich stelle mir vor, ich sitze auf einer Sommerwiese mit vielen

Blumen und grasenden Pferden in Meditationshaltung unter

einem Baum. Ein Lächeln liegt auf meinem Gesicht und ich

bin voll glücklich. Ja, so ein Bild gab es in dem Film „Der

Pferdeflüsterer“. Und dann kommen die ganzen Pferde

einfach zu mir und schlabbern mich ab, und ich beömmele

mich.

Das ist Mumpitz. Ich habe das ausprobiert mit meinem Pferd.

Akita war das so was von egal, dass ich da gesessen habe und

mich haben irgendwann die Ameisen in den Hintern gebissen

– und schöne Filmmusik gab es auch nicht.

 

Kann ich nicht einfach so glücklich sein – einfach froh am

Leben zu sein? Grundloses Glücksgefühl, das wäre toll.

Ich stelle mir vor einfach so glücklich zu sein und spüre dabei

deutlich, wie ich mich entspanne.

 

Das ist doch nicht echt. So richtig tiefe Entspannung

funktioniert nur, wenn man sich selbst annimmt. Das machst

du ja nicht, du kritisierst dich dauernd. Du bist aber auch

selber schuld, weil du aus allem ein Problem machst.

 

Ach ja, echt … Probleme hausgemacht, handverlesen und in

Bio-Qualität direkt vom Erzeuger. Vielleicht sollte ich damit 'n

Laden aufmachen.

 

Das ist wirklich ein Problem von dir: Du verwitzelst immer

alles. Dabei geht es hier um etwas Ernstes. Du kannst dich

nicht entspannen, wenn du immer aus allem ein Problem

machst. Und Entspannung ist ja so wichtig. Das schreiben sie

immer wieder in der Apotheken-Zeitschrift.

 

Herrje, da mache ich ja schon wieder etwas falsch, oder? Das

dreht sich im Kreis: Es gibt ständig ein „Ich“, was angepampt

wird und eins, was sich verteidigt. Es ist so, als ob ich in

meinen Gedanken ständig vor Gericht stünde:

Auf den hohen Rängen sitzen dann meine Gedanken-Ichs:

Kritiker, Antreiber und vielleicht noch so eine Art Erzieherin:

alle mit Hakennasen im schwarzen Talar natürlich, und sie

schauen mich über ihre Lesebrillen streng an.

Ich stehe unten, schaue hoch und werde bewertet mit „gut“

und „falsch“, meistens eher „falsch“. Und dann muss ich mich

verteidigen und es wird ein Urteil gefällt, meistens: schuldig

im Sinne der Anklage. Na ja, ab und zu bekomme ich vielleicht

auch mal ein Sternchen für Schönschrift oder Küche putzen.

Alle erleuchteten Meister und Therapeuten sagen ja auch:

Man soll sich nicht bewerten.

Schön gesagt, das ist aber mit Gedanken-Kontrolle nicht zu

machen. Und ich habe das ausgiebig probiert. Und bin das

wirklich Ich? Bin ich diejenige, die die Gedanken kontrolliert?

Sie erscheinen mir eher unkontrolliert, egal, was ich will.

Aber ich bestehe doch aus mehr als nur Gedanken.

 

Ja, denkst 'de!

Das Denken der Gedanken ist gedankenloses Denken.

 

Oh, das ist ein Spruch, den habe ich von meinem Vater.

 

Was ist denn jetzt mit der Rechnung?

 

Ich trinke einen Schluck Kaffee und atme tief durch.

Ach, das stimmt einfach alles hinten und vorne nicht. Sobald

ich denke, ich weiß wer ich bin, beweise ich mir spätestens in

den nächsten fünf Minuten das Gegenteil. Ich habe auf der

Bühne unzählige Rollen gespielt. Das bin dann natürlich nicht

ich, sondern ich tue mal als ob, und außerdem ist es ja nur ein

Spiel.

Das Leben ist aber kein Spiel.

Mag sein, aber ohne Spiel ist es auch kein Leben. Spiel ist das

ursprünglichste, was es gibt. Die Babys kommen auf die Welt

und beginnen die Welt zu erfahren und zu lernen – durch

Spiel!

 

Ach, das sagst du bloß, weil du so einen blöden Hochstatus

hast und meinst, Theater spielen sei das Geheimnis des

Lebens. Du hast ja auch echt die Weisheit mit Löffeln

gefressen, oder?

 

Ich stelle mir vor, wie ich die Weisheit in mich hinein löffele.

Ach ja, meine Lieblingsweisheit: Die Welt ist eine Bühne und

ein Spiegel des Seins. Lecker! Sei du selbst, weil alle anderen

gibt es schon. Mjami! Oh, der Löffel wird immer größer. Da

passen auch zwei Weisheiten drauf: Geteiltes Glück ist

doppeltes Glück, geteiltes Leid ist halbes Leid. Bevor du einen

Menschen bewertest, gehe eine Meile in seinen Mokassins.

Ganz köstlich! Gut Ding will gut Weile haben. Die ist sehr

nahrhaft. Und weiter: Wenn jeder an sich denkt, ist an jeden

gedacht. Hm, die schmeckt ein bisschen komisch. Glaub' nicht

alles, was du denkst ...

 

Äh … Weisheiten mit Löffeln fressen kann auch zu

Verdauungsproblemen führen.

 

Ich muss grinsen.

Genau, ich kann auch einfach in meiner Fantasie

herumspielen. Wenn es im Außen nichts zu spielen gibt, kann

ich mich selbst entertainen. Ich kann eigentlich immer

spielen, wenn ich das will. Außerdem kann das spontane Spiel

viel Wahrheit transportieren, da kommen dann manchmal

Sachen rausgeflutscht, die mich echt erstaunen. Da wäre ich

durch Nachdenken nie drauf gekommen. Das kommt

natürlich weil es ein Spiel ist, es ist ja nicht ernst gemeint.

Dann entspanne ich mich und – zack – sage ich als Närrin

etwas, was mich vollkommen überrascht, wo mir innerlich

die Kinnlade runterhängt, und ich mich frage: „Wo kam das

denn her?“

Wieso finde ich in jeder Rolle ein Fünkchen Wahrheit von

mir? Irgendwie so ein Gefühl von: Ja, das kenne ich. Und wer

ist das Ich, was das kennt?

 

Herrje, kannst du jetzt bitte mal aufhören mit diesem Psycho-

Quatsch. Hier nur sitzen und Kaffee trinken und analysieren

bringt dich auch nicht weiter. Zähne putzen wäre ganz

hübsch und dann los …

 

Nein, ich lasse mich nicht beirren, sonst ist das wieder wie an

jedem Tag. Wenn es dann erst einmal „los“ geht, ist es ratz

fatz Abend und ich sitze vor dem Fernseher und habe wieder

dieses Gefühl, dass der Tag nicht „echt“ war, fühle mich falsch

und unzufrieden.

 

Ja, es sollte alles anders sein, aber es ist wie es ist.

 

Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, dass ich nicht

weiß, wer „ich“ bin – und zwar ohne Analyse, einfach gefühlt.

Ich dachte ja immer, ich bin so eine Bühnenpersönlichkeit.

Dabei wollte ich nach meinem ersten Theaterseminar auf gar

keinen Fall Theater spielen. Allein die Frage: Was ist denn der

Unterschied zwischen einem „echten“ Gefühl und einem

„gespielten Gefühl“? Boah, das hat mich eine schlaflose Nacht

gekostet und war mir zu kompliziert. Na ja, aber lassen

konnte ich es dann doch nicht – das hat einfach zu viel Spaß

gemacht. Ein echtes Gefühl ist der Grund dafür, warum ich

überhaupt mit einem Gefühl spielen kann.

 

Das ist jetzt aber schon ein bisschen flach gedacht, oder?

 

Vor meinem inneren Auge erscheint mein Hirn als Flachdach.

Hör mal, ich kann so flach oder tief denken, wie ich will.

Außerdem ist mir klar, dass ich in Wahrheit ja nur eine „böse“

oder „gute“ Rolle spielen kann, weil es etwas „Böses“ oder

„Gutes“ in mir gibt. Das war manchmal etwas unbequem, das

wahrzunehmen. Schließlich bin ich in erster Linie ein „guter“

Mensch, was immer das heißt. Theater ist manchmal ein

Spiegel - und kann besser sein als Therapie.

 

Das Wort „Therapie“ kommt ja auch eigentlich vom

griechischen „therapeia“ und heißt so was wie „dienen“ – und

wenn das Theater dir dient, ist doch alles gut.

 

Habe ich Wikipedia in meinem Kopf?

 

Ich trinke noch einen Schluck Kaffee.

Eine Erinnerung kommt hoch:

Ich sehe mich selbst in einer Schauspiel-Probe mit einer

Regisseurin in meiner alten Wohnung. Ich sollte für das

Fernsehgericht eine Frau spielen, der man ihr Baby

weggenommen hatte. Mann, was habe ich gebrüllt und

geheult. Als es dann zu dolle wurde, habe ich aufgehört und

zu der Regisseurin gesagt: „So etwa?“

Dann haben wir darüber geredet, während ich immer noch

das Echo des Schmerzes empfunden habe. Dadurch wurde

mir klar, was da in mir mitschwang: der Schmerz von Verlust.

Aha, dachte ich mir, wenn ich diese Frau dann wieder spiele,

muss ich an denselben inneren Ort gehen: Verlustschmerz.

Lustig, da gehe ich aus künstlerischen Ambitionen in Gefühle

hinein, die man doch im Leben versucht mit allen Mitteln zu

vermeiden. Manchmal habe ich allerdings den Verdacht, diese

Schmerzvermeidung verursacht mehr Schmerz, als der

Schmerz an sich ...

Ja, aber wenn ich in Gefühle hinein und wieder hinausgehe,

wer ist dann „Ich“?

 

Das ist doch egal, diese blöde Rechnung dampft da vor sich

hin und bezahlt sich nicht von allein. Sei doch mal realistisch!

 

Ich finde, ich habe gerade ein sehr realistisches Thema beim

Wickel, jetzt sei ruhig! Interessant war nämlich auch, wie die

Geschichte weiterging: Ich sehe mich wieder im Proberaum.

Nach dem Gespräch mit der Regisseurin, sollte ich die Frau

nochmal spielen. Ich ging also auf die Bühne und sagte nur

den Anfangssatz: „Gebt mir mein Kind zurück!“, und sofort

heulte ich los. Aber nicht, weil ich innerlich an irgendeinen

Ort gegangen war, sondern weil ich die Frau WAR, in dieser

Situation. Dass ich kinderlos bin und so eine Situation nie

erlebt hatte, spielte gar keine Rolle. Ich WAR sie einfach, mit

all ihren Gefühlen.