Copyright Eugenia Maranke
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Das Bedingungs-Los des Menschen

 

 

Neulich im Lesesaal meines Gehirns habe ich eine Geschichte gefunden. Sie lag auf einem Gedanken-Tisch und war auf eine Serviette gekritzelt. Irgendwann habe ich sie wohl mal erfunden und dann vergessen. Ich fand die Geschichte aber so schön, dass ich sie dir erzählen möchte:

 

Ein Vater ging mit seiner kleinen Tochter auf einen Jahrmarkt. Da gab es viel zu sehen: Das Karussell des Lebens kreiste zu einer bunten Musik, und man konnte sich in die Krake der Leistungs-Philosophie setzen, um ein paar Runden zu drehen. Es gab Traumschaum und gleich nebenan natürlich den Luftschlösser-Verkäufer.

Die Sonne schien, viele Menschen waren unterwegs, und es herrschte insgesamt eine fröhliche Stimmung.

Als die beiden an einer Losbude vorbeischlenderten, blieb das kleine Mädchen stehen und fing an, auf und ab zu hüpfen. „Papa! Papa! Ich will ein Los! Bitte bitte bitte!“, juchzte sie, und die Augen leuchteten vor Begeisterung. Der Vater schaute sich die Losbude genau an. „Willst du wirklich eins? Das sind Bedingungs-Lose.“

Verdutzt schaute sie den Vater an. „Was sind Bedingungs-Lose?“ Der Vater überlegte und kratzte sich ein wenig am Kopf. „Also, bei so einem Los steht eine Bedingung drauf. Wenn du die Bedingung erfüllst, und es gut läuft – aber es muss schon richtig gut laufen – dann bekommst du einen Gewinn.“

„Was ist denn eine Bedingung?“ „Hm, das ist, wenn du etwas tun musst, damit etwas geschieht, was du dir wünschst.“

„Aha“, sagte das Mädchen und dachte nach. „Aber wenn ich etwas tue, damit etwas passiert, was ich mir wünsche ... und es läuft dann aber gar nicht gut, was ist dann?“ „Dann hast du Pech gehabt und bist eine Niete“, antwortete der Vater und war gerührt von der kindlichen Ernsthaftigkeit.

Im Gesicht des Mädchens war deutlich zu sehen, wie die anfängliche Begeisterung der Enttäuschung wich. „Böh, das ist dann ja gar kein richtiger Los-Gewinn.“

„Genau, alles Schmu! Komm, lass uns weiter gehen. Da drüben gibt es Paradies-Äpfel, da kaufe ich dir einen.“ “Juchhu“, jubelte das Mädchen, und begann wieder auf und ab zu hüpfen.

Auf dem Weg zu den Paradiesäpfeln blieb der Vater plötzlich stehen, und wendete sich zu seiner Tochter. „Aber nur, wenn du nachher dein Zimmer aufräumst!“, sagte er und guckte ein bisschen streng.

Das Mädchen schob die Unterlippe vor. „Manno ...“

 

Als ich die Geschichte gelesen hatte, kreiste sie bestimmt noch zwei Tage in meinem Kopf herum. Wie viele Bedingungs-Lose ich mir wohl schon so zugelegt habe in meinem Leben? Oder vielleicht haben andere Menschen mir einfach heimlich ein paar Lose in mein Unterbewusstsein gesteckt, und ich habe es gar nicht gemerkt?

Ich habe den Überblick darüber verloren, wie viele Bedingungen es in meinem Glaubens-System überhaupt gibt. Es sind bestimmt fünfhundert Trillionen dreihundert Tausend. Angeblich alles Voraussetzungen und Ansprüche, die mir sagen, was ich tun muss, oder wie ich sein muss, damit etwas klappt – oder ich eine richtig, gute Menschin bin: So wie es sich gehört! Dumm nur, dass mein Sein oft nicht hört, was sich gehört. Dann habe ich innere Konflikte, Gedanken-Diskussionen, Stress und der innere Kritiker schimpft, wie ein Rohrspatz. Um Harmonie herzustellen, strenge ich mich dann furchtbar an, damit ich wieder in diese Gleichung passe: Ich + erfüllte Bedingung = gutes Gewinner-Ich. Wenn nicht = faules, dummes, hässliches, egoistisches Nieten-Ich.

 

Wenn ich das Wort „bedingungslos“ höre, macht es auf jeden Fall auch „juchhu“ in mir und etwas hüpft auf und ab.

„Bedingungsloses Grundeinkommen“, „bedingungslose Liebe“ – ach, allein, wenn ich das hier schreibe, muss ich seufzen. Das wäre ja so schön, diese ganzen Bedingungen, die in meiner Innenwelt herumschwirren, mal los zu werden.

 

Die Erfahrung mal so völlig befreit zu sein, kenne ich aus der Meditation. Dann wird es still in meinem Kopf, und die vielen Bedingungen lösen sich einfach in Bewusstseins-Dunst auf. Irgendwann öffne ich die Augen, und sitze da einfach so rum – in Stille – im Jetzt. Dann fühle ich so intensiv die Einfachheit des Seins. Alles, was ich wahrnehme, auch mich selbst, ist simpel – so wie es eben ist. Ohne den Filter von diesem Bedingungs-Glaubensnetz, sind meine Sinneswahrnehmungen nicht eingetrübt von dem ständigen Benennen, Bewerten, Interpretieren, Vergleichen und „Wenn- Dann-Denken“. Ich bekomme eine Ahnung davon, wie wunderschön und einfach Leben sein kann. Fünf Minuten später, und – zack– bin ich wieder gefangen im Netz, ohne es zu merken: Gewinner, Niete, Gewinner, Niete, Gewinner, Niete ...

Dann gehe ich hinaus in die Welt, meine Brötchen verdienen, meine Beziehungen pflegen, einkaufen, aufräumen und überlegen, wie ich auf das blöde Schreiben vom Finanzamt antworte.

Wenn mich die Außenwelt so vor vollendete Tatsachen stellt, voll von Bedingungen, die ich meistens gar nicht erfüllen kann, fühle ich mich oft machtlos – halt ein Opfer der Umstände.

Ich kann das allerdings auch überprüfen: Sind es wirklich Menschen oder Dinge in „der Außenwelt“, die mich ständig nötigen eine To-do-Liste zu erstellen, oder mich mit „Wenn-Dann-Denken“ beschäftigen? Oder hat das nicht viel mehr mit dem Innenleben zu tun? Vielleicht existiert ein Glaube in mir, dass nur, wenn ich alle Erfordernisse erfülle, die andere an mich stellen, ein guter Mensch bin?

 

Diese „Be-dingt-heit“ wird sowohl von dem Gesellschafts-System, als auch von meinem inneren Glaubens-System auf mich als menschliches Wesen angewandt. Und nicht nur bei mir, ich kenne viele denen es genauso geht.

 

In „Bedingung“ steckt das Wort „Ding“.

 

Es ist die größte Sünde, einen Menschen, wie ein Ding zu behandeln“, ich glaube diesen Satz habe ich mal bei Terry Pratchett gelesen.

Oft genug, behandele ich mich aber wie ein Ding. Oft genug fühle ich mich behandelt, wie ein Ding, wie eine Nummer: in der Schule, von der Bürokratie oder im Krankenhaus.

Wie kann das sein? Vor allem, wenn ich weiß, dass ich kein Ding bin, und alle anderen Menschen, Tiere und ... ja, einfach alles, was lebt, auch nicht.

Wie konnte es nur dazu kommen?

 

Als erstes fällt mir die materielle Weltsicht ein, die in unseren westlichen Breitengraden ja recht tief verwurzelt ist: Hast ’de was, bist ’de was. Was zählt sind die Dinge: Besitz, Geld, Erfolg, selbst Gesundheit ist mittlerweile eine Bedingung geworden.

Ich habe nichts gegen Erfolg, Geld, Gesundheit und Besitz – aber ist das wirklich der Maßstab, nach dem ein Mensch bewertet werden sollte? Und das Ergebnis der Bewertung bestimmt, ob ich eine Gewinnerin oder Niete bin? Okay oder nicht-okay?

 

In den Werten der materiellen Sicht, geht es um die Welt der Dinge. Ich sehe ein, dass es hier ganz konkrete Bedingungen gibt. Wenn ich die Kaffeetasse vom Tisch fege, ist sie kaputt. Auch menschliche Bewertung von Dingen ist verständlich: ein neues Auto wird als schön, wertvoll und funktionsfähig bewertet. Ein altes Auto, was gerade noch so husten kann, wird eher als das Gegenteil empfunden.

Wie ist es nur möglich, dass sich diese Sicht zum Beispiel auf alte Menschen übertragen hat? Ist man nicht mehr jung, kraftvoll und hat keine Pfirsichhaut, bewegt sich die allgemeine Bewertung eher in Richtung hässlich, nutzlos und nicht mehr so wertvoll – eben wie ein altes Auto. Lebenserfahrung, Gelassenheit, Fähigkeiten und die Schönheit des Alterns spielen da keine Rolle.

Irgendwann muss das menschliche Denken eine falsche Abzweigung genommen haben. Dann wurde diese materielle Bedingtheit als Werte-System viele Generationen lang gedacht, nicht hinterfragt – und jetzt haben wir den Salat: ein echter Kopfsalat! Er ist angefüllt mit Bedingungen, die ein Mensch erfüllen muss, um ein „guter, richtiger Mensch“ zu sein.

Es ist also kein Wunder, dass ich mich so danach sehne das Ding mit der Bedingung los zu werden, und mir das Wort „Bedingungslosigkeit“ auf der Zunge zergeht, wie ein Pralinee – und wahrscheinlich nicht nur mir.

Bedingungslosigkeit verspricht Freiheit: Mach‘, wie du es willst! Du bist okay, wie du bist.

Ach, das ist etwas Wunderbares.

Wenn es immer so laufen würde, wie in der Meditation, könnte ich diese prall gefüllten Säcke mit Bedingungs-Losen einfach über Bord werfen, mich abwenden und mein Ding machen.

 

Was ist mein Ding? Was ist dein Ding?

Ich würde sagen, das hat mit der persönlichen Resonanz zu tun, die ich in der Entspannung der Bedingungslosigkeit wieder wahrnehmen kann. Es macht im Innern einfach „Ding-Dong“, und ich spüre, dass mich etwas anzieht, oder mich erhellt, oder ich einfach Lust auf etwas habe. Ob dabei ein Gewinn oder ein Verlust herauskommt, kann auf der inneren Ebene egal sein, weil meine Identität nicht daran gebunden ist. Und wenn ein Verlust auf der äußeren Ebene nicht egal ist, dann fällt mir in Verbundenheit mit meiner emotionalen Intelligenz schon etwas ein, das wieder auszugleichen.

 

 

Es gibt so Tage, da spüre ich das, auch ohne Meditation. Da ist mein „Ich“ frei, der Ballast in von Bord, und mein innerer Heißluft-Ballon kann abheben. Das fühlt sich an, wie die unendliche Leichtigkeit des Seins: das Gras ist grüner, der Himmel blauer, und ich kann die prickelnde Lebendigkeit wieder fühlen.

Hier kommen alle nicht-dinghaften Fähigkeiten, Emotionen und Seins-Zustände zum Zuge: Resonanz, Inspiration, Fantasie, Spontanität, Lebensfreude, Spiritualität, Vorstellungskraft, Humor, Ideen, Enthusiasmus, Verbundenheit, Intuition ...

Ich finde es erstaunlich, wenn ich mich so bedingungslos „abgehoben“ in einer bedingten Welt der Dinge bewegen kann – und es passiert überhaupt nichts Schlimmes! Im Gegenteil, ich spüre, wie ich aufblühe, einfach in diesem entspannten bedingungslosen „Okay-Sein“: Genau so, wie ich jetzt gerade bin – in einer Lebens-Situation, die ist, wie sie ist. Genau so, und nicht anders!

In diesem Zustand sind die Notwendigkeiten der materiellen Existenz viel leichter zu akzeptieren. Ich werde handlungsfähiger, weil das „Wenn-dann-Denken“ bezogen auf meine Identität aufhört. „Wenn-dann-Denken“ kommt nur noch zum Zuge, wenn ich es wirklich brauche, zum Beispiel weil ich mein Fahrrad reparieren oder dem Finanzamt antworten muss. Gelingt es mir – prima, wenn nicht, muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Erfolg oder Misserfolg sind dann nicht mehr die Bedingung dafür, dass ich okay bin, sondern einfach eine Erfahrung.

Irgendwann landet mein enthusiastischer Heißluft-Ballon,. und ich stehe knietief im Glitzer auf dem Boden der Tatsachen, mit einer Wahrnehmung, die die Welt der Dinge genauso schätzt, wie das formlose Sein.

 

Der Mensch hat zwar eine Form, ist aber weit mehr als ein körperliches Ding. Das ist die ganz krasse bodenständige Wirklichkeit, inklusive fliegender Heißluftballons und Glitzer. Bedingungslosigkeit entspricht der formlosen Essenz jedes Lebewesen, und aus meiner Sicht ist es wirklich an der Zeit, das zu respektieren.

 

Also mach‘ unbedingt dein Ding, erfreue dich an dem, was du erschaffst oder nicht erschaffst, ohne dich selbst zu einem Ding zu machen. Natürlich nur, wenn es Ding Dong macht!

 

Eugenia Maranke